_ Einführungsrede von Eric Henzler
Und ich hörte eine laute Stimme aus dem Tempel, die sprach zu den sieben Engeln:
Gehet hin und gießet die sieben Schalen des Zornes Gottes aus auf die Erde! Und der
erste ging hin und goß seine Schale aus auf die Erde; da entstand ein böses und
schmerzhaftes Geschwür an den Menschen, die das Malzeichen des Tieres hatten
und die sein Bild anbeteten.
Und der zweite goß seine Schale aus in das Meer, und
es wurde zu Blut wie von einem Toten, und alle lebendigen Wesen im Meer starben.
Und der dritte goß seine Schale aus in die Flüsse und in die Wasserquellen, und sie
wurden zu Blut. Und ich hörte den Engel der Gewässer sagen: Gerecht bist du, Herr,
der du bist und der du warst, du Heiliger, daß du so gerichtet hast! Denn das Blut der
Heiligen und Propheten haben sie vergossen, und Blut hast du ihnen zu trinken gegeben;
sie verdienen es! Und ich hörte vom Altar her sagen: Ja, Herr, allmächtiger Gott, wahr-
haft und gerecht sind deine Gerichte! Und der vierte goß seine Schale aus auf die Sonne;
und ihr wurde gegeben, die Menschen zu versengen mit Feuerglut. Und die Menschen
wurden versengt von großer Hitze, und sie lästerten den Namen Gottes, der Macht hat
über diese Plagen, und taten nicht Buße, ihm die Ehre zu geben. Und der fünfte goß
seine Schale aus auf den Thron des Tieres, und dessen Reich wurde verfinstert, und sie
zerbissen ihre Zungen vor Schmerz und lästerten den Gott des Himmels wegen ihrer
Schmerzen und wegen ihrer Geschwüre und taten nicht Buße von ihren Werken. Und
der sechste goß seine Schale aus auf den großen Strom Euphrat; und sein Wasser ver-
trocknete, damit den Königen vom Aufgang der Sonne der Weg bereitet würde. Und
ich sah aus dem Maul des Drachen und aus dem Maul des Tieres und aus dem Maul des
falschen Propheten drei unreine Geister herauskommen, gleich Fröschen. Es sind nämlich
Geister von Dämonen, welche Zeichen tun und zu den Königen des ganzen Erdkreises
ausziehen, um sie zum Kampf an jenem großen Tage Gottes, des Allmächtigen, zu ver-
sammeln. [...] Und er versammelte sie an den Ort, der auf hebräisch Harmagedon heißt.
Den siebten Engel, möchte ich Ihnen, meine Damen und Herren, ersparen, der kam mit
einem noch nie da gewesenen Erdbeben. Und für diejenigen, die es bis dahin noch nicht
kapiert hatten: Das war das Ende der Welt, zumindest wie es Johannes in der Offenbarung
Kapitel 16 beschreibt, übrigens dem sinnvoller Weise letzten Buch des Neuen Testaments.
Harmagedon ist der erste Teil des Titels zu dieser Ausstellung, der zweite „Exsolutio“,
also Befreiung oder Erlösung, klingt freundlicher; zum Begriff der „Erlösung“ gehört auch
immer der Opfertod Christi am Kreuz.
Im dialektischen Dreischritt wird aus dem trans-
zendenten, jenseitigen Gott zunächst ein menschgeborener Sohn - und am Ende kommt der
Heilige Geist der Versöhnung und der christlichen Urgemeinschaft heraus, wie es Slavoj
Žižek so schön dargelegt hat. Zu guter Letzt folgt daraufhin das Jüngste Gericht und die
Bestrafung der Ungläubigen.
Diese zwei Titelteile markieren sozusagen den inneren
Lehrkern
des Christentums. Macht ja Sinn, dass man dann etwas Christliches zeigt, zumal
hier in einer
ehemaligen Kapelle...
Sehen wir uns in dieser Ausstellung genauer um, so entdecken wir
jedoch zunächst einmal
keine apokalyptische Endzeitstimmung, geschweige denn Andeutungen
des Gemetzels in
der letzten Schlacht der Menschheit, vielmehr die lustig–bunten Strickobjekte
von Karen
Bayer. Das sind keine Geißeln der Menschheit, eher kuschelige Geißeltierchen,
bonbonbunte
Grotesken-Ornamentik im Rasterelektronen–Zeitalter. Ebenso die kleinformatigen
Malereien
von Oliver Wetterauer: auf altmeisterlich–illustrative Art gemalte Neobiedermeier-Ikonen,
könnte man sagen.
Angeordnet sind die Arbeiten in einem apokalyptischen Zirkel, der mit
der
Erschaffung der Dinge beginnt, über die Monster des Kunstmarktes und der bösen Welt
allgemein,
sich schließlich in den Wollenen Monsterchen fortsetzt, die dann im Weihegefäß
landen; man kann
aber auch natürlich bei dem Weihegefäß beginnen und den Weg in um-
gekehrter Richtung gehen, ein
vorwärts und rückwärts durchspielbares Weltbeendigungs-
szenario!
Vergegenwärtigen wir uns die
historischen Positionen, auf die sich die beiden
Künstler beziehen mögen: Einerseits haben wir da
die Drolerien, die Halbwesen und die
Wasserspeier-Grotesken, die Buchseiten, Raumnischen und
die Dächer von Kirchen über
Jahrhunderte hinweg bevölkerten, wie auch die Arabesken und
Moresken,
die sich an
Wänden, Bucheinbänden und auch Kleidungsstücken emporrankten, bis die gnadenlos
rationalen und jätwütigen Ideengärtner der Moderne sie als Unkraut aus den Beeten der
Bildenden
Künste herausrissen und zumindest zeitweise verbannten.
Man könnte meinen,
hier werde die
Traditionslinie der Blaschkas neu aufgenommen, die Modelle wirbelloser
Meeresorganismen aus
Glas herstellten, neben ihrem wissenschaftlich-visualisierenden Wert
auch „eine Zierde für elegante
Zimmer“ wie ein Katalog die Glasobjekte seinerzeit anpries.
Karen Bayer jedoch macht in bester
Blow Up–Manier sichtbar, was ohne vielfache Ver-
größerung für uns einfach unsichtbar bleiben
müsste: Bakterien, Viren und einzellige
Kleinstlebewesen, diese „elenden Biestchen“ in stäbchenförmiger, kugliger, spiraliger und
kommaähnlicher Form, wie sie ihr Entdecker van Leeuwenhoek
1697 beschimpfte, die
Ursachen von Seuchen und Epidemien, die aus der Petrischale des zornigen
Gottes
gegossen die Menschheit seit jeher peinigen.
Interessant dabei ist die den Kleinsten der
Wesen
zugewiesene wollene Materialität, erinnert diese doch entfernt an die Toiletten-
papierrollen-Verstecke
auf Hutablagen in alten S-Klasse-Limousinen.
Das Gefäß, aus dem
sie heraus zu kreuchen und zu
fleuchen scheinen, aus Wellpappe gefertigt, ist dies nicht nur
ein Rotationskörperobjekt, ein christlich-liturgisches Gefäß oder ein Taufstein, sondern viel
bedrohlicher, auch die letzte Fassung der Büchse
der Pandora?
Auf der anderen Seite die Ikonenmalerei, wegen ihrer übermenschlichen Herkunft als
Acheiropoíeton
oder auch als das vera icon, das„wahre Bild“ verstanden, ein Abglanz der
göttlichen Herrlichkeit,
eingefangen als Abdruck zum Beispiel im Schweißtuch der Veronika.
Was Oliver Wetterauer
einfängt, ist etwas anderes, das sind in mittelalterlich anmutenden
Bildräumen oder in Bildflächen
codierte melancholische Weltsichten; Parodien-Ikonen, die
ebenso wenig vor dem Übel der Welt
resignieren wie Oliver Wetterauer, der ja immer wieder
aufs Neue seine Bilder in den Krieg schickt,
vielleicht ja auch nach Harmagedon. Seine Ikonen,
in dieser Formulierung zeigt sich ja schon das
Ausmaß des Paradoxen dieser Malereien, Seine
Ikonen sind gespickt mit Selbstporträts, die ihn meist
in Aktion zeigen: gegen den bürokratischen
Drachen des Kunstmarkts kämpft er, er wird vom Teufel
geritten, es gibt Exorzismen an und in
allen Ecken, er predigt seine ganz private Apokalypse und man
trifft ihn zwischen Super-
marktregalen an, Ikonenmaler im selbstreferentiellen, vom Nimbus bekrönten
Alltagsgeschäft
sozusagen.
Gibt es aber nun eine weitere Verbindungslinie, die den Bogen schlagen
könnte
zum Ausstellungstitel? Was den Weltuntergang auszulösen im Stande wäre, ist, hoffe ich deutlich
geworden: Killerbakterien, biologische Waffen, mutierende und außer Rand und Band geratene
Viren auf der einen Seite, auf der anderen Seite die ganze Palette der fanatisch-religiösen
Bedrohungen, die auch und in besonderem Maße mit der christlichen Religion einhergehen:
Verblendung und Wahnsinn, Propheterie und Hasspredigt, nehmen wir die Wetterauersche
Malerei „Selbst als Klara mit dem kleinen Hitlerkind“ so fallen uns auch die nachfolgenden
oder vorausgegangenen, und auch die eigene Generation als potentielle Bedrohungen ein –
hinzu kommen die kleineren tödlichen Risiken wie Autounfälle.
Das Drohszenario ist also
geklärt, wo aber bleibt die Erlösung, wo der rettende Strohhalm,
an den sich zu klammern
lohnte? Denn, um hier erneut Zizek zu bemühen, „in unserer
vermeintlich säkularen Kultur
ist die untergründige Struktur des Glaubens nach wie vor
wirksam – wir glauben insgeheim
alle.“
Welchen hoffnungsvollen Notausgang haben uns
die beiden Künstler also bereitet?
Einen, der weder in den Religionen, noch in den mittel-
alterlichen Künsten besondere Wertschätzung genoss: das Lachen.
Die Zeiten haben sich
geändert, deutlich verändert, seit der
guten alten Zeit der Apokalypse, seit der Offenbarung,
auch seit jenen Zeiten, als Ikonen und
Arabesken, Ornamentik und Heiligenbild die Speerspitze
der Kunstavantgarde bildeten. Speist
sich die Skurrilität, die ironische Brechung in den Positionen
der beiden Künstler aus der in
dieser Hinsicht unzeitgemäßen Form der Arbeiten? Ich denke,
dass dies zu kurz greift – ist es
nicht vielmehr ein parodierender Formalismus, der unzeitgemäße
weil vergangene Darstellungsweisen und Weltsichten mit aktuellen Lebenswirklichkeiten kreuzt
und gerade in diesem
Spannungsfeld von historisch-abgehakt und akut unter den Nägeln brennend
(siehe dazu
Stuttgart21 oder die nächste Influenza-Welle) das Lachen hervorruft, das Erleichterung
und
Erlösung erzeugt. Die Gelotologie, die Wissenschaft vom Lachen, schreibt neben schmerz-
lindernder Wirkung eben genau dies dem Lachen zu, dass es Stresspegel senken hilft, auch
den Stresspegel, den unter anderem auch apokalyptische Drohszenarien in die Höhe zu treiben
im Stande sein dürften. Klar, dass Johannes und die anderen Propheten eines drohenden
Weltunterganges genau dies nicht gebrauchen könnten, dass sich schon im Diesseits eine
Erleichterung, wenn nicht gar eine Erlösung anbahnt!
Genau diese Erleichterung aber erzeugen
in den Werken der beiden Künstler die Grotesken und Parodien, dass wir nämlich lachen:
über eine zutiefst bürgerliche, ironisch-gebrochene Weltsicht, die sich sorgt, ganz altmodisch
Sorgen macht ob des Unheils da draußen. Dass es eben nie eine Absolute Sicherheit vor
drohendem Unheil geben kann, wissen wir alle; die Frage ist, ob eine Lebensversicherung
einen wirksameren Schutz bieten kann als eine Ikone, also ein Heilsbild, oder ob das nur die
säkulare Form ritualisierter Vorkehrungsmaßnahmen ist – und beides im Kern auf dasselbe
hinausläuft, dass man nämlich daran glauben muss. Hier können wir auf modellhafte Weise
all diese Rituale verlachen.
Das Lachen wird wohl auch unter dem lästerlichen Verhalten zu
verbuchen sein müssen, das alle der sieben Engel dazu bewog, nacheinander ihre Schalen
auszugießen.
Und hier wird die Ausstellung besonders abgründig, evoziert sie doch als Erlösung
das Lachen, das die Erlösung im apokalyptischen Szenario erst einmal unmöglich macht und
stattdessen neue Plagen heraufbeschwört.
Sie sehen also, meine Damen und Herren, wir
stecken als Ausstellungsbesucher hier ganz schön in der Klemme – und dabei wünsche ich
uns allen viel Vergnügen!
Eric Henzler
(Labor du Nord)